Kürzlich wurde ich gefragt, „wie sich die Entwicklung der kollegialen Führung aufgrund der Pandemie verändert“. In diesem Blogbeitrag versuche ich eine Antwort hierzu.
„In der Krise beweist sich der Charakter“, wusste schon Helmut Schmidt, und wie dynamikrobust und agil eine Organisation ist, lässt sich in Krisenzeiten einfacher beobachten, als bei eitel Sonnenschein. Wobei vermutlich unterschieden werden sollte, ob eine Organisation eine agile Entwicklung gerade erst begonnen hat, mitten drin steckt oder diese schon etabliert hat. Jede Organisationsentwicklung fordert erst einmal zusätzliche Ressourcen und stellt eine zusätzliche Belastung dar. Deswegen möchte ich zu der Frage eher etablierte agile Organisationen in den Blick nehmen als solche, die sich gerade erst aufgemacht haben.
Mir liegen keine statistisch relevanten und belastbaren Zahlen vor, ich habe auch gar nicht danach gesucht und ich möchte hier auch keine Namen nennen. Aber ich kann ganz subjektiv und eher anekdotisch berichten. In den letzten 10 Jahren habe ich eine Reihe von agilen Organisationen kennengelernt: durch vielfältige persönliche Kontakte zu vor allem inhabergeführten Unternehmen, als Organisationsmitglied und auch in eigenen Unternehmen oder als professioneller externer Begleiter.
Mir fällt dabei nur ein Unternehmen ein, das sich, wohl vor allem durch den Versuch, eine holokratische Organisationsform einzuführen, selbst zerlegt hat. Ein anderes Unternehmen geriet auf Grund der Auftragssituation in wirtschaftliche Probleme, ohne dass sich für mich jedoch ein direkter Zusammenhang zur agilen Organisationsform erschlossen hat. Beides passierte deutlich vor der Corona-Pandemie.
Alle anderen mir bekannten agilen Organisationen existieren weiterhin in ihrer gewohnten Größe und kommen augenscheinlich gut durch die Pandemie, auch solche, die branchentypisch betroffen sind. Wenn Unternehmen viele Jahre lang erfolgreich agil organisiert arbeiten, ist das zumindest ein Nachweis, dass dies grundsätzlich geht. Umso interessanter die Frage nach dem Verhalten in der aktuellen Krise.
Mein Eindruck ist: agile Organisationen kommen bislang gut durch die Krise und treffen ihre Entscheidungen mindestens ebenso schnell und gut wie pyramidenförmig geführte. Sie sind beispielsweise in der Lage, auch sozial und wirtschaftlich schwierige Entscheidungen, wie beispielsweise zur Kurzarbeit, in einer ebenfalls sozial und wirtschaftlich angemessenen Weise zu treffen.
Natürlich gibt es Ausnahmen, wie beispielsweise das in der Schweiz ansässige Reiseunternehmen, in dem der Chef (leider mit Verweis auf unser Buch) die Entscheidung über Entlassungen an die Betroffenen selbst delegiert hat. Ich habe durchaus kollegial entschiedene Entlassungen schon beobachtet – aber in einer etablierten und reifen agilen Organisation, nicht zum Start in die agile Transformation.
Eine mit Entlassungen verbundene Krise kann durchaus ein passender Anlass und Zeitpunkt sein, ein Unternehmen agiler aufzustellen. Beispielsweise gibt es mehr relevante und übergeordnete Entscheidungsbedarfe, zu denen sich viele Beteiligte eine breitere und transparentere Kommunikation und Reifung von Entscheidungen wünschen. Auch ergeben sich in Unternehmen bei kurzfristig geringerer Auslastung und ansonsten wirtschaftlich solider Ausgangssituation oft mehr Freiräume, um Neues auszuprobieren. Nur sollte dann eben auch die mittel- und langfristige Perspektive bei der Organisationsentwicklung im Fokus stehen und nicht kurzfristige Personalentscheidungen.
Meine (wie gesagt selektiven und statistisch nicht belastbaren) Beobachtungen bringen mich insgesamt zu der Meinung, dass kollegial-selbstorganisierte Unternehmen nicht nur ebenso gut durch die Pandemie kommen wie herkömmlich organisierte, sondern sich bei ihnen sogar die für eine agile Organisation erwartbare gute Anpassungsfähigkeit (Agilität) zeigt.
Nichtsdestotrotz würden mich aber eure Beobachtungen interessieren: Was habt ihr bei euren Kunden oder in euren Organisationen bislang zu dieser Frage beobachten können?
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